Gott

Texte: Roger S. Vogt

  • 1. Mehr?

    Sicher kennst Du das Gefühl, dass es noch viel mehr geben könnte, als wir sehen oder begreifen. 
    Liegt vielleicht hinter Allem etwas Höheres, Geheimnisvolles verborgen?  
    Gibt es Dimensionen, die wir uns gar nicht vorstellen können, zum  Beispiel Unendlichkeit? 

    Sicher kennst Du auch die Sehnsucht, einen Sinn und Zusammenhang zu sehen, wo es scheinbar keinen Sinn gibt. 
    Ueberhaupt: Wo fängt alles an? 
    War schon etwas da, bevor es die Welt oder uns gegeben hat? 
    Gibt es einen Plan, oder ist alles Zufall? 
    Bleibt etwas, wenn alles vergehen würde?

  • 2. Gott lässt sich nicht beweisen

    Unser Körper, Wissen und Erkennen sind begrenzt, auch unsere Lebenszeit. Aber wir können über unsere Grenzen hinaus denken; wir können den Blick auf das richten, was dahinter liegt. Das ist der Anfang, über Gott nachzudenken - auch wenn wir wissen, dass es unser Denken übersteigt. 

    Denn wir können es drehen und wenden, wie wir möchten: Gott beweisen kann man nicht. Alle Versuche, dies zu tun, sind mehr oder wenig kläglich gescheitert…


    Glaube ist nicht Wissen. Wäre es nicht so, wären wir nicht frei, an Gott zu glauben oder nicht, und Religion wäre nicht Glauben, sondern ein Gesetz. 

    Für Viele ist das ein Frust, dass man Gott nicht „wissen“ kann. Aber vielleicht ist das auch eine Chance: Wenn man Gott nicht beweisen kann, dann muss man Gott auch nicht beweisen.

  • 3. Religionen

    Also zurück zu unserer Sehnsucht nach Sinn und unserem Gespür nach „mehr“: 
    Seit tausenden von Jahren haben sich unzählige Menschen schon Gedanken über genau diese Gefühle gemacht. 

    Ihre Erklärungsversuche, Antworten und Gedanken haben sie an ihre Kinder weitergegeben, und mit den Jahrhunderten sind daraus Traditionen daraus gewachsen – ein riesiger Schatz an Erfahrungen, Gedanken und Geschichten! 

    Und mit der Zeit wurden diese Erfahrungen nochmals so verdichtet, dass Religionen entstanden: Menschen haben ihre Erlebnisse nicht anders mehr interpretieren können, als dass da ein Wesen ist, das hinter allem steht. Und dieses Wesen ist eine „absolute Person“, die sie Gott nannten.

    Judentum, Islam und Christentum haben dieselben Wurzeln und sind miteinander verwandt (wie es das U2-Bühnenbild CoeXisT ausdrückt). 
    Deshalb haben sich gewisse Grundgedanken gemeinsam gebildet: 
    • Es gibt nur einen einzigen Gott 
    • Gott ist der Ursprung und Erschaffer von Allem, das existiert 
    • Gott umgibt alles, das existiert, und ist uns ein Gegenüber 
    • Gott ist uns gleichzeitig sehr nahe und total anders und immer noch unendlich mehr, als wir uns vorstellen können.

  • 4. Der Elefant

    Alle diese Traditionen bzw. Religionen wissen, dass sie Wahres in sich tragen, aber nur einzelne Teile sind und Gott nie ganz be-„greifen“ können. Die folgende Geschichte drückt dies sehr schön aus:


    Es waren einmal fünf weise Gelehrte. Sie alle waren blind. Diese Gelehrten wurden von ihrem König auf eine Reise geschickt und sollten herausfinden, was ein Elefant ist. 

    Und so machten sich die Blinden auf die Reise nach Indien. Dort wurden sie von Helfern zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten standen nun um das Tier herum und versuchten, sich durch Ertasten ein Bild von dem Elefanten zu machen. 

    Als sie zurück zu ihrem König kamen, sollten sie ihm nun über den Elefanten berichten. Der erste Weise hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel des Elefanten betastet. Er sprach: "Ein Elefant ist wie ein langer Arm." 

    Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sprach: "Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer." 

    Der dritte Gelehrte sprach: "Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule." Er hatte ein Bein des Elefanten berührt. 

    Der vierte Weise sagte: "Also ich finde, ein Elefant ist wie eine kleine Strippe mit ein paar Haaren am Ende", denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet. 

    Und der fünfte Weise berichtete seinem König: " Also ich sage, ein Elefant ist wie ein riesige Masse, mit Rundungen und ein paar Borsten darauf." Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres berührt. 

    Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen fürchteten die Gelehrten den Zorn des Königs, konnten sie sich doch nicht darauf einigen, was ein Elefant wirklich ist. 

    Doch der König lächelte weise: "Ich danke Euch, denn ich weiß nun, was ein Elefant ist: Ein Elefant ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist, mit Ohren, die wie Fächer sind, mit Beinen, die wie starke Säulen sind, mit einem Schwanz, der einer kleinen Strippe mit ein paar Haaren daran gleicht und mit einem Rumpf, der wie eine große Masse mit Rundungen und ein paar Borsten ist." 

    Die Gelehrten senkten beschämt ihren Kopf, nachdem sie erkannten, daß jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten ertastet hatte und sie sich zu schnell damit zufrieden gegeben hatten. 


    Quelle

  • 5. Gott und Mensch

    In der biblischen Tradition gibt es gerade zur Beziehung von Gott zu uns Menschen viele Geschichten und Gedanken. Einige zentrale sind diese:


    Gott schreibt mit uns Menschen Geschichte 

    Das bedeutet, Gott begleitet uns in unserer Geschichte und gestaltet mit uns sogar die Geschichte, indem Gott uns braucht und einsetzt. 
    In der Mosesgeschichte z.B. wird erzählt, dass Gott Moses zum Pharao schickt, damit er die Sklaven befreien soll. 
    Oder wenn in Israel viel Unrecht geschehen war, schickt Gott Propheten, dass sie darauf aufmerksam machen und sich für eine Veränderung einsetzen. 

    „Gott hat keine Hände, sondern unsere Hände“ ist ein bekannter Spruch, der ausdrückt, dass Gott durch uns wirken kann und will und dass es an uns ins, an dem Friedensreich zu bauen, in dem nicht Gewalt, Hass oder Tod die Macht haben, sondern die Liebe und das Leben. 
    Diese Geschichten sind auch voll vom Gedanken, dass Gott uns begegnet und nahe sein will.

    Gott zeigt sich 

    Die biblischen Geschichten gehen davon aus, dass Gott „Schöpfer“ und der Mensch sein „Ebenbild“ ist. 
    Die bedeutet, dass sich Gott in der Natur zeigt, in seinen Werken, und im Gesicht eines jeden Menschen.

    Freiheit 

    Die Schöpfung und der Mensch sind frei, deshalb tragen wir auch Verantwortung dafür, wie wir leben. 
    Die Traditionen sind sehr verschieden, wenn es darum geht, ob und wie Gott eingreifen kann oder will: Das geht von der Vorstellung von einem abwesenden Gott, der die Welt sich selbst überlässt, bis dazu, dass Gott alles, wirklich alles steuert und vorherbestimmt hat.

    Liebe 

    Da Gott auch mit Liebe verbunden wird und z.B. im Neuen Testament vom kommenden Friedensreich für die Welt immer wieder die Rede ist, bedeuet das auch, dass wir auf das Gute hin leben sollen, füreinander da sind, helfen, wo Not ist, gewissermassen also an diesem Friedensreich bauen und das uns Mögliche tun, und Gott das Menschenunmögliche tut.

    Heilung 

    Weil Gott „Schöpfer“ ist, heilt Gott Wunden, die wir nicht heilen können. Gott überwindet mit uns Hürden, die wir selbst nicht überwinden können. Mit Gott können wir Grenzen überschreiten und sogar den Tod besiegen.

    Gott ist Mensch 

    In der christlichen Tradition wird Gott sogar selbst Mensch, um uns nahe zu sein. Dies ist die unüberbietbare Konsequenz davon, dass Gott und Mensch sich ähnlich sind, wie es die Bibel ausdrückt.

  • 6. Der gute Gott und das Leiden der Welt

    Schauen wir die Welt an, sehen wir gleich: sie ist nicht perfekt, im Gegenteil: neben vielen schönen Dingen ist sie auch brutal, ja sogar die Natur selbst mit Nahrungskette, Krankheiten, Katastrophen wirkt nicht sehr liebevoll und schon gar nicht gerecht. 

    Für viel Unrecht wie Krieg, Leid und Hass trägt der Mensch die Mitverant-wortung. Aber sehr viel Leid geschieht auch ohne den Mensch (Erdbeben, Eiszeiten etc.). 

    Warum hat Gott denn die Welt gerade so „gemacht“ und nicht anders, vielleicht sogar besser, oder ist sie „gefallen“, verändert, also nicht mehr so, wie sie ursprünglich gedacht war (auch dieser Gedanke ist in vielen Traditionen immer wieder aufgetaucht)?

    Diese Frage ist uralt und hat immer wieder viel zu denken gegeben. Und wie bei der Frage, ob „es Gott gibt“, gibt es keine definitive Antwort – zum Glück.

    Hiob - die Bibel versucht eine Antwort 

    Die Bibel selbst stellt sich im Buch Hiob (im Alten Testament) dieser Frage. Da wird ein Mann schwer krank und verliert alles, obschon er sich sicher ist, dass er das keineswegs verdient. 

    Er klagt, dass Gott selbst nicht gerecht ist. Das Buch gibt keine Antwort, aber es beschreibt eindrücklich Hiobs Ringen um diese Gefühle und macht deutlich, dass nach unserem menschlichen Denken vieles einfach nicht zusammenpasst. 

    Aber die Bibel hält auch fest, dass wir in solchen Gefühlen nicht an Gott selbst scheitern, sondern an den Vorstellungen und Erklärungsversuchen, die wir haben, weil sie eben nicht die letzte Wahrheit sind. 

    Hiob bleibt am Schluss des Buches nichts anderes übrig, als dennoch über Gott, die Natur und an der Tatsache, dass ihm das Leben gegeben ist, zu staunen. 

    Gerade aus diesem Kampf mit Gott, gerade durch den Zweifel beginnt er tiefer zu vertrauen und nicht nur auf seine eigenen Ideen und „Rechtsempfindungen“ zu pochen. 

    Das ist quasi die Bedingung für das glückliche Ende: Hiob wird am Schluss des Buches wieder gesund und gewinnt zurück, was er verloren hatte. 

    Das Buch Hiob ist nicht als Drama eines Einzelschicksals gemeint, sondern spiegelt das Ringen jedes Menschen mit der Wahrheit und mit der Sehnsucht, dass alles „aufgehen muss“. 
    Aber diese letzte Wahrheit entzieht sich uns gerade deshalb, weil sie in einer ganz anderen Dimension liegt.

  • 7. Symbole - Brücken zu Gott

    Ein Weg, sich Gott vorzustellen, über ihn nachzudenken, kann über 
    Symbole und Gedankenbilder gehen. 

    Sie sind oft aus dem Leben gegriffen, aus unserer täglichen Erfahrung, z.B. Gott ist wie die Liebe, wie die Sonne, wie ein Vater oder eine Mutter. Weil wir solche Symbole gut verstehen, sind die Religionen reich an solchen Symbolen. 

    Ein Symbol meint damit nicht, dass Gott wirklich ein Vater, ein Mann ist, sondern er kann uns lieben, wie ein Vater sein Kind liebt. 
    Er muss auch nicht eine Frau sein, aber er kann der Anfang des Lebens sein, genauso wie eine Mutter ihr Kind zur Welt bringt. 

    Neben Symbolen und Gedankenbildern gibt es auch viele Geschichten, die von Gott erzählen, um etwas davon auszudrücken, was wir erleben und fühlen.

  • 8. Glauben? Vertrauen!

    Wie wir schon gesehen haben: es kann nicht darum gehen, Gott zu erklären. 
    Die Symbole und Bilder sind auch keine Gesetze, an die man sich festklammern kann. 
    Genau das sollte man auch nicht tun, aber es ist immer wieder geschehen, wie man auch heute ganz einfach feststellen kann, wenn man sieht, wie sich die Menschen damit schwer tun, wenn jemand nicht mehr von Gott als „er“, sondern von Gott als „sie“ redet.

    Nein, es geht vielmehr darum, zu lernen, wie ich Gott vertrauen kann. Das 
    ist eine grosse Herausforderung, weil es uns nicht leicht fällt zu vertrauen, wenn etwas geheimnisvoll und unerklärlich bleibt. Es ist schwierig, auf etwas zu vertrauen, das wir zwar spüren, aber weder in Worte fassen noch ganz verstehen können.

    „An Gott glauben” heisst in der biblischen Sprache denn auch weniger an die Existenz Gottes zu glauben wie an ein Naturgesetz. Das Wort “glauben” bedeutet sinngemäss vielmehr “jemandem glauben”, d.h. “sein Vertrauen auf Gott setzen”.

  • 9. Geschichten statt Erklärungen

    Zwei Symboltexte drücken dieses Vertrauen besonders aus:

    “Du kannst Gott weder ganz begreifen noch verstehen, Du kannst Gott weder überall sehen noch immer meinen, dass Gott dir nahe ist, aber du kannst ent-scheiden ob du Gott vertraust oder nicht.”

     

    Spuren im Sand 

    Jemand sieht wie in einem Traum auf sein ganzes Leben zurück, er sieht einen 
    grossen Strand mit einer langen Spur von Fussabdrücken, er weiss, diese 
    Spur ist seine eigene, sein Lebensweg. 
    Neben seiner Spur sieht aber noch eine zweite und Gott sagt ihm im Traum, 
    dass es die Spur von Gott selbst ist, die er sieht. Der Mensch freut sich, über 
    den Gedanken, dass Gott immer mit ihm neben ihm ging, dass er nie alleine war. 
    Aber plötzlich ist er ganz erstaunt, sogar enttäuscht, weil zwischendurch Gottes 
    Spur neben seiner immer wieder verschwindet und nur noch eine einzige 
    Spur zu sehen ist. 
    Er fragt Gott: “Warum bist du nicht immer mit mir 
    gegangen, ich erinnere mich genau, an diesen Tagen, wo 
    ich unglücklich war und es schwer in meinem Leben 
    hatte, gerade dort, wo ich dich am meisten gebraucht 
    hätte, ist nur eine Spur zu sehen - du hast mich dann 
    doch nicht etwa verlassen? 
    Gott sagt: ”Wie könnte ich dich je verlassen, ich war immer bei dir - dort wo 
    du nur eine Spur siehst, da habe ich dich getragen.”